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Zur Begründung der internationalen Zuständigkeit für ein Ehescheidungs-verfahren reicht nach Art 3 Abs 1 lit a 3. Spiegelstrich Brüssel IIa-VO ein gewöhnlicher Aufenthalt des Beklagten ohne weiteres aus

Von 5. Januar 2022 März 17th, 2022 Publikationen

Zum Sachverhalt traf das Bezirksgericht Meidling als Erstgericht folgende Feststellungen:
„Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten war in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Klägerin ist österreichische Staatsbürgerin und lebt entweder unverändert in den Vereinigten Staaten von Amerika oder seit 24.07.2020 in Österreich. Der Beklagte (Anm. mein Mandant) ist Staatsbürger des Vereinigten Königreichs und hält sich zumindest seit 24.04.2020 im Vereinigten Königreich auf. Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union erfolgte am 31.01.2020.“ Die Scheidungsklage wurde am 27.08.2020 beim Erstgericht eingebracht und dem Beklagten im Vereinigten Königreich zugestellt. Das Erstgericht bejahte seine (internationale) Zuständigkeit, ging aber unrichtigerweise von der Unanwendbarkeit der EuEheKindVO (Brüssel-IIa VO) aus.

Der Beklagte erhob deshalb Rekurs, dem auch Folge gegeben wurde (LGZ Wien 03.08.2021, 44 R 123/21w): Nach Art 67 Abs 1 lit b und c des Brexit-Abkommens (AA) gelten für alle Verfahren, die vor dem 01.01.2021 eingeleitet wurden und die einen Bezug zum Vereinigten Königreich aufweisen, sowohl im Vereinigten Königreich als auch in den EU-Mitgliedsstaaten die Zuständigkeitsbestimmungen unter anderem der Brüssel-IIa VO. „Das AA wurde gerade deshalb geschaffen, um die Beziehungen der Europäischen Union und dem „Nicht mehr Mitgliedsstaat“ Vereinigtes Königreich bis zum 31.12.2020 zu regeln.“ Somit waren auf die Klage die Art 6 iVm Art 3 Abs 1 lit a 3. Spiegelstrich Brüssel IIa-VO anzuwenden: „Die Parteien leben in verschiedenen Ländern, haben verschiedene Staatsbürgerschaften und hatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in den USA, weil sich die Klägerin der unbestritten gebliebenen Feststellung zufolge frühestens seit 24.07.2020 in Österreich aufhält. Die Klage wurde am 27.08.2020 gerichtsanhängig. Insgesamt sind deshalb weder die Voraussetzungen des sechsmonatigen noch des einjährigen Aufenthalts gegeben.“

Die Klägerin erhob den vom Rekursgericht zugelassenen Revisionsrekurs, den aber der Oberste Gerichtshof (OGH) als daran nicht gebunden, als unzulässig erachtete (22.10.2020, 8 Ob 119/21i): „Die Bestimmung des Art 3 Abs 1 lit a 3. Spiegelstrich Brüssel IIa-VO ist eindeutig, weshalb sich der Revisionsrekurs trotz Fehlens von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs als nicht zulässig erweist (vgl RS0042656) und auch keine Notwendigkeit zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens besteht (vgl RIS-Justiz RS0082949). Ihr Wortlaut lässt – anders als Art 3 Abs 1 lit a 5. und 6. Spiegelstrich Brüssel IIa-VO, die zusätzlich eine Mindestdauer des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragstellers (Anm. hier: die Klägerin) im betreffenden Mitgliedstaat fordern – den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners (Anm. hier: der Beklagte) im betreffenden Mitgliedstaat für die internationale Zuständigkeit von dessen Gerichten genügen. Aufgrund des Wortlauts und des systematischen Zusammenhangs ergibt die Auslegung der Bestimmung eindeutig, dass hier ein gewöhnlicher Aufenthalt ohne weiteres ausreicht. … Die unterschiedliche Behandlung durch den Unionsgesetzgeber erklärt sich daraus, dass der Antragsteller – anders als der Antragsgegner – den Zeitpunkt der Antragstellung beeinflussen kann. Durch das Zusatzerfordernis einer Mindestdauer des gewöhnlichen Aufenthalts wird ein „forum shopping“ des Antragstellers zumindest erschwert, muss er sich, will er in einem bestimmten Mitgliedstaat zB Scheidungsklage erheben, hier doch unmittelbar davor bereits zumindest ein Jahr (5. Spiegelstrich) oder (ist er Staatsbürger dieses Landes) zumindest sechs Monate gewöhnlich aufgehalten haben.“

Dr. Eric HEINKE
Dr. Sophie HOMMER (am Verfahren beteiligt)

Den dazugehörigen Artikel zum gewöhnlichen Aufenthalt aus dem österreichischen Anwältinnenblatt können Sie hier nachlesen.

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