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Zum gewöhnlichen Aufenthalt in Art 3 Abs 1 lit a Brüssel IIa-VO

Von 17. März 2022 Publikationen

INTERNATIONALES FAMILIENRECHT

Art 3 Abs 1 lit a Brüssel IIa-VO
Art 3 Abs 1 lit a 3. Spiegelstrich Brüssel IIa-VO (Brüssel IIa) sieht vor, dass für Entscheidungen über die Ehescheidung […] die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Es ist hier – im Gegensatz zu Spiegelstrich 5 und 6 – gerade keine konkrete Mindestdauer erforderlich.
OGH 22. 10. 2021, 8 Ob 119/21i

Sachverhalt

Im Jahr 2020 klagte die Ehegattin ihren Ehegatten vor einem österr Gericht auf Ehescheidung. Die Kl ist österr Staatsbürgerin, der Bekl verfügt über die Staatsbürgerschaft des Vereinigten Königreichs. Der letzte gemeinsame Aufenthalt des Ehepaars befand sich in den USA.
Die Kl gab an, in Österreich aufhältig zu sein, wonach nach § 76 Abs 1 und Abs 2 JN die Zuständigkeit österr Gerichte und die inländische Gerichtsbarkeit gegeben sei. Als der gewöhnliche Aufenthalt der Kl in Österreich vom Bekl bestritten und die Anwendbarkeit der Brüssel IIa reklamiert wurde, führte die Kl weiter aus, dass keine der Parteien einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hätten und es sohin zur Restzuständigkeit nach Art 7 Abs 1 Brüssel IIa und damit zur Zuständigkeit österr Gerichte käme.
Der Bekl war der Rechtsauffassung, dass die Brüssel IIa zur Anwendung käme und die Kl ihn somit richtigerweise gem Art 3 Abs 1 lit a 3. Spiegelstrich Brüssel IIa vor den Gerichten des Vereinigten Königreichs zu klagen gehabt hätte, da sich dort sein gewöhnlicher Aufenthalt befand und überdies keine der anderen Zuständigkeiten nach Art 3 Brüssel IIa erfüllt gewesen sei.
Das ErstG erklärte sich mittels Beschlusses zur Führung des Ehescheidungsverfahrens für international zuständig. Es begründete die Entscheidung damit, dass das Vereinigte Königreich die Europäische Union mit Ablauf des 31. 1. 2020 verlassen hatte. In Fällen, die einen Bezug zum Vereinigten Königreich aufweisen, gelten für vor Ablauf der Übergangszeit bis 31. 12. 2020 eingeleitete gerichtliche Verfahren die Bestimmungen der Brüssel IIa über die internationale Zuständigkeit.1 Dennoch sei das Vereinigte Königreich seit dem 1. 2. 2020 kein Mitgliedstaat mehr. Aus der Brüssel IIa ergebe sich daher in keinem Mitgliedstaat eine Gerichtszuständigkeit. Es sei sohin nach § 76 Abs 2 JN die Zuständigkeit österr Gerichte gegeben.
Der Bekl erhob Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluss. Das Rekursgericht gab diesem Rekurs Folge und sprach die Zulässigkeit eines Revisionsrekurses aus. Der OGH erachtete den erhobenen ordentlichen Revisionsrekurs der Kl mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage für unzulässig.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Bestimmung des Art 3 Abs 1 lit a 3. Spiegelstrich Brüssel IIa ist eindeutig, weshalb sich der Revisionsrekurs trotz Fehlens von Rsp des OGH als nicht zulässig erweist.2 Ihr Wortlaut lässt – anders als Art 3 Abs 1 lit a 5. und 6. Spiegelstrich Brüssel IIa, die zusätzlich eine Mindestdauer des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragstellers im betreffenden Mitgliedstaat fordern – den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners im betreffenden Mitgliedstaat für die internationale Zuständigkeit seiner Gerichte genügen. Aufgrund des Wortlauts und des systematischen Zusammenhangs ergibt die Auslegung der Bestimmung eindeutig, dass hier ein gewöhnlicher Aufenthalt ohne weiteres ausreicht. Auch die Lit vertritt dies einheitlich.3
Warum es – wie von der Revisionsrekurswerberin vertreten – „gleichheitswidrig“ sein soll, dass zur Begründung der internationalen Zuständigkeit nach Art 3 Abs 1 lit a 3. Spiegelstrich Brüssel IIa anders als in den Fällen des 5. und 6 Spiegelstrichs keine Mindestdauer des gewöhnlichen Aufenthalts vorliegen muss, erschließt sich dem Senat nicht. Die unterschiedliche Behandlung durch den Unionsgesetzgeber erklärt sich daraus, dass der Antragsteller – anders als der Antragsgegner – den Zeitpunkt der Antragstellung beeinflussen kann. Durch das Zusatzerfordernis einer Mindestdauer des gewöhnlichen Aufenthalts wird ein „forum shopping“ des Antragstellers zumindest erschwert, muss er sich, will er in einem bestimmten Mitgliedstaat zB Schei- dungsklage erheben, hier doch unmittelbar davor bereits zumindest ein Jahr (5. Spiegelstrich) oder (ist er Staatsbür- ger dieses Landes) zumindest sechs Monate gewöhnlich auf- gehalten haben.4

Anmerkung

Der OGH hat nunmehr klargestellt, dass der Wortlaut des Art 3 Abs 1 lit a 3. Spiegelstrich Brüssel IIa eindeutig ist.

Für die Zuständigkeit hiernach ist gerade keine Mindestaufenthaltsdauer des Antragsgegners im Mitgliedstaat erforderlich. Dies entspricht auch dem offensichtlichen Zweck der Regelung und dem Telos des Gesetzgebers. Eine differenzierende Regelung beim 5. und 6. Spiegelstrich, wonach für eine internationale Zuständigkeit jeweils bestimmte zeitliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, ist keinesfalls als gleichheitswidrig zu betrachten. Darüber hinaus ist auch in den übrigen Bestimmungen des Art 3 Abs 1 lit a Brüssel IIa (sohin 1., 2. und 4. Spiegelstrich), bei denen auch jeweils der „gewöhnliche Aufenthalt“ ein Tatbestandselement darstellt, explizit keine Mindestaufenthaltsdauer vorgesehen. Es ist sohin gerade der Wille des Gesetzgebers gewesen, in diesen Fällen den gewöhnlichen Aufenthalt an keine zeitlichen Voraussetzungen zu knüpfen!

Dr. Eric HEINKE
Dr. Sophie HOMMER
1 Art 67 Abs 1 lit b und c Brexit-Abkommen.
2 RS0042656.
3 Vgl Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht IV, Art 3 Brüssel IIa-VO Rz 34; Garber in Gitschthaler, Internationales Familienrecht 2019, Art 3 Brüssel IIa-VO Rz 56.
4 Simotta in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze V/22, Art 3 EuEheKind- VO Rz 140.
Der Original-Artikel aus dem österreichischen Anwältinnenblatt vom 03.2022 kann hier nachgelesen werden.

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