Skip to main content
News

Braucht es einen „Knigge“ für die Rechtsanwaltschaft?

Von 16. September 2022 Publikationen

Von Ehre und Anstand

Sämtliche folgenden, personenbezogenen Ausdrücke gelten für Männer, Frauen und Divers ((m/w/*) gleichermaßen.

Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter unterliegen als Mitglieder der jeweiligen Rechtsanwaltskammer (RAK) dem Standesrecht und dem Disziplinarstatut: Wer schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzt oder inner- oder außerhalb seines Berufes durch sein Verhalten die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt, begeht ein Disziplinarvergehen. Wir stehen im Blickfeld der Öffentlichkeit. Jeder von uns genießt als Standesmitglied Ansehen und entgegengebrachtes Vertrauen. Deshalb haben wir gerade in bewegten Zeiten, wie diesen, die Pflicht zu redlichem und ehrenhaftem Verhalten in der Öffentlichkeit. Dazu zählt die Judikatur die Einhaltung von Gesetzen, verfestigte Standesauffassung, allgemeine Moralkriterien und die Einhaltung von Anstandsregeln:

1. Ein Vorbringen hat Tatsachen zu enthalten, die auf ihre Richtigkeit objektiv überprüfbar sind.

Es hat in gutem Glauben und im Vertrauen auf die Richtigkeit der Information des Klienten zu erfolgen Eine Prüfpflicht ist jedoch dort notwendig, wo das Vorbringen gravierend in die Sphäre Dritter eingreift.

2. Rechtsstreitigkeiten sind grundsätzlich nicht über die Medien auszutragen.

Es gibt aber gute Gründe, dann medial an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn sich dies als sachlich angemessenes Mittel erweist, die Interessen des Klienten durchzusetzen.

3. Man hat sich eines sachlich und korrekten Tons gegenüber jedermann zu bedienen.

Ist Kritik sachlich hart, aber fundiert, ist sie berechtigtes Verteidigungsmittel und Recht der freien Meinungsäußerung. Umgekehrt sind beleidigende Schreib- oder Ausdrucksweisen verpönt.

4. Man darf nicht versuchen, Ziele zu erreichen, die auf legalem Wege oder ohne eine Irreführung nicht erreicht werden können.

Legale „Schlupflöcher“ zu finden, gehört zu unserem Job. Ist eine Rechtsauffassung hingegen schlicht unvertretbar, verlässt man den Boden der Legalität.

5. Korrektes Verhalten untereinander: Kollegen ist zu antworten und Aufträge der RAK sind nach § 26 RL-BA 2015 zu befolgen.

Auch, wenn man mangels Information oder zufolge Auftrags des Klienten inhaltlich nicht antworten kann oder darf, so ist aber jedenfalls dem Kollegen in diesem Sinn zu antworten. Kann man Aufträge der RAK nicht fristgerecht erfüllen, so ist um Fristerstreckung zu ersuchen; manchmal genügt dazu ein einfaches Telefonat mit der RAK. Werden Aufträge der RAK bloß aus Zeitnot, Überlastung oder gar Ignoranz nicht erfüllt, so wird dies dem Kammeranwalt zur weiteren Veranlassung mitgeteilt.

Vieles, was wir standesrechtlich zu beachten haben, sagt einem schon der einfache Hausverstand. Im Zweifel kann man auch berufserfahrenere Kollegen um Rat fragen. In eigener Sache kann man sich zu Verhaltensfragen überdies eine Weisung von seiner RAK holen. Hier muss aber der angefragte Sachverhalt in der ex-post-Betrachtung auch dem tatsächlichen entsprechen, denn nur dann entfiele die subjektive Tatseite und somit eine disziplinäre Ahndbarkeit!

Manchmal passieren auch erfahrenen Kollegen Verhaltensfehler. Dies erkennend, sollte man dann die Größe haben, sich zu entschuldigen. Man begegnet sich meist nicht nur ein Mal im Leben! Viele, oft unnötige Disziplinarverfahren könnten bei Beachtung dieser einfachen Regeln vermieden werden. Unser Standesrecht, als Ausfluss unserer beruflichen Autonomie, kann freilich eine mangelnde Kinderstube oder Erziehung nicht ersetzen. Vielleicht braucht es doch eines „Knigges“ für die Rechtsanwaltschaft?

Der Original-Artikel aus der juristischen Fachzeitschrift „Anwalt Aktuell“ vom 16.09.2022 kann hier nachgelesen werden.

Leave a Reply