Dieser fundamentale Rechtssatz, wonach Verträge einzuhalten sind, stammt nicht, wie viele glauben, aus dem Römischen Recht: Der Katalog klagbarer Verträge entwickelte sich im Mittelalter im Kirchenrecht aus religiösen Gründen und wurde 1234 im Liber Extra von Papst Gregor IX. erstmals erwähnt. Das Prinzip der Vertragstreue ist bis heute der wichtigste Grundsatz des privaten, öffentlichen und des Völkerrechts. Die damit verbundene Vertragsfreiheit ist Ausfluss der Privatautonomie, aber oft gepaart mit Machterwerb und –ausübung, Unterdrückung, Knebelung oder langer Bindung. Gesetzgeber und Judikatur müssen da korrigierend eingreifen (zB Mieterschutz uvam). Ungültigkeit, Unmöglichkeit, Gesetz- oder Sittenwidrigkeit durchbrechen den Grundsatz ebenso. Der EuGH hat judiziert, dass europäisches Recht den nationalen Grundsatz bricht, wonach geschlossene Verträge von Parteien einzuhalten sind (C-503/04). Im Völkerrecht ist es die Politik, die ihn „durchlöchert“: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der LEYEN musste sich zuletzt bei den Brexit-Verhandlungen darauf berufen, um die Vertragstreue der Briten beim Austrittsabkommen einzufordern. Wenn aber Ausnahmen, Aufweichungen, Missachtungen und Brüche der Vertragstreue Platz greifen und sogar von „oben“ vorgelebt werden, wen wundert es, wenn sich immer weniger noch daranhalten wollen? Rechtsanwälte achten selbst darauf (19 Ob 3/14a) und für Mandanten, gerade auch in Corona-Zeiten. Salvatorische Klauseln uä sind im Einzelfall hilfreich, um Verträge rechtssicher zu machen. Liefer- und Produktionsschwierigkeiten, fehlende Arbeitskräfte und -plätze oder Liquiditätsengpässe stellen viele vor die Frage, ob Vertragstreue noch möglich oder notwendig ist. Ihr Rechtsanwalt sagt Ihnen kompetent, ob pacta sunt servanda.
Zum Originalartikel aus dem Rechtspanorama der Tageszeitung DIE PRESSE vom 28.09.2020