Rezension von Thiele, Anwaltskosten, 4. Auflage
Sämtliche angeführten personenbezogenen Ausdrücke gelten für Männer, Frauen, Divers und anderweitige Geschlechteridentitäten (m/w/*) gleichermaßen.
Nach 12 Jahren war die nächste, nun 4. Auflage des unverzichtbaren Standardwerks von Herrn Kollegen Hon.Prof. Dr. Clemens THIELE längst „überfällig“, die schon 2023 erschienen ist. Semantisch müsste der Titel eigentlich nicht bloß „Anwaltskosten“ lauten, sondern eigentlich „Rechtsanwaltskosten und -honorar“. Zum einen sind wir nicht bloß Anwälte, wie etwa auch ein Patienten-, Bürger- oder Volksanwalt etc., sondern Rechtsanwälte! Es wäre deshalb für die Zukunft wünschenswert, wenn im Buch selbst rechtsanwaltlich, statt nur anwaltlich verwendet wird. Zum anderen sind Kosten das, was man bei Gericht oder Behörden für das Einschreiten als Rechtsanwalt für seine Mandantschaft verzeichnet und wonach sich ein allfälliger Kostenersatz richtet, während Honorar jenes Entgelt ist, das ein Rechtsanwalt mit seiner Mandantschaft vereinbart und dieser in Rechnung stellt. Dennoch ist es marketingmäßig verständlich, dass man beim bereits eingeführten und bekannten Buchtitel blieb.
Für eine einheitliche Zitierweise des Werks in der Judikatur und der Fachliteratur wäre die Angabe eines Zitiervorschlags auch kein „Schaden“ gewesen. Leider fehlt eine solche, weshalb schon die Zitierweise der 3. Auflage recht unterschiedlich war.
Inhaltlich folgt das vorliegende Werk auf nunmehr stolzen 584 Seiten freilich der Unterscheidung zwischen Kosten und Honorar: Nach dem Allgemeinen Teil mit den Grundzügen des Rechtsanwaltstarifgesetzes (RATG), der Allgemeinen Honorar-Kriterien (AHK), dem Kostenersatzrecht in Zivil-, Exekutions- und Strafverfahren sowie der Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts und vor übernationalen Tribunalen, folgen die Kommentierung der Details des RATG einerseits und der AHK andererseits. Wie auch im Vorwort richtig bemerkt, hat sich das Kostenrecht im Kern kaum verändert. Somit wende ich mich in der Rezension jenem Kommentarteil des RATG und der AHR verstärkt zu, der auch laut dem Autor enorm angewachsen ist. Bekanntermaßen ist Kostenrecht „Landrecht“, kommt man doch mit Rechtsmitteln in reinen Kostenfragen nicht bis zum OGH. Unter diesem Aspekt ist es dem versierten Autor zu danken, dass er auch rezente Entscheidungen der Landes- und Oberlandesgerichte in den Fußnoten zitiert. Darunter sind, was hervorzuheben ist, auch solche, die entweder nur in anderen Entscheidungssammlungen oder nicht einmal im RIS aufzufinden sind oder gar nicht veröffentlicht wurden, dem Autor aber zugänglich wurden. Darin liegt ein besonders wertvoller und brauchbarer Mehrwert für den Praktiker.
Im allein 335 Seiten umfassenden Kommentarteil des RATG folgt der Autor dem Aufbau des Gesetzes, somit zunächst den einzelnen Paragrafen und dann den einzelnen Tarifposten. Erfreulich ist, dass im Kommentar immer wieder Querverweise zum rechtsanwaltlichen Standesrecht erfolgen. Nicht zu folgen vermag ich aber dem Autor im Kommentar zu § 2 RATG auf Seite 225f, wonach es für Rechtsanwälte ein Provisionsverbot gäbe. Hier wird die Rechtslage zum (alten) § 51 RL-BA 1977 dargestellt, der aber nur für Sachverhalte bis einschließlich 31.12.2015 galt [vgl AnwBl 2017/64 (Dittenberger)]. Gemäß § 16 der nun geltenden RL-BA 2015 gibt es kein Provisionsverbot für Rechtsanwälte mehr (vgl Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 16 RL-BA 2015, Rz 6). Diesen Hinweis habe ich vermisst. Zu § 7 RATG im Spannungsverhältnis zur unterlassenen Bewertung wäre noch zu ergänzen, dass auch der Zweifelsstreitwert gemäß § 56 Abs 2 letzter Satz JN nach § 7 RATG bemängelt werden kann (vgl LGZ Wien 45 R 465/99m, EFSlg 90.737). Sehr gelungen ist zu § 15 RATG Rz 9ff der Exkurs zu § 7 AHK, wonach die Auslegung des Begriffs „Beteiligung einer Person in dem der eigenen Partei entgegengesetzten Interesse“ in § 7 Abs 3 AHK auch für § 15 RATG herangezogen werden kann. Ebenso sehr hilfreich für die Praxis ist der Kommentar zu § 16 RATG nicht nur, was die Auslagen (Postgebühren, Kopier-, ZMR-Abfrage- bzw. Fahrtkosten) anlangt, sondern auch für die Zuziehung eines Einvernehmensanwalts und Fragen der (ausländischen) Umsatzsteuer. Kaum bekannt ist der Umstand, dass § 21 RATG auch eine Entlohnung über das Maß des Tarifs vorsieht. Der Autor kommentiert diese Bestimmung umfassend und mit vielen Beispielen. Eine genaue Lektüre derselben lässt selbst Praktiker, wie mich, leidvoll erkennen, dass man für manche erbrachte Leistungen durchaus mehr Kosten hätte verzeichnen können, ja sogar hätte sollen. Das brachte mich auch auf den Titel dieser Rezension: Koste es, was es solle! Auf satten 29 Seiten wird der § 23 RATG (Einheitssatz für Nebenleistungen) umfassend und in allen Aspekten (Anwendungsbereich, Wahl der Abrechnungsart, Berechnung, Verhältnis zu vorprozessualen Kosten) hervorragend kommentiert. Für Berufsanwärter mE eine Musslektüre zur Vorbereitung für die Rechtsanwaltsprüfung. Was die Kommentierung der Tarifposten (TP) anlangt, so ist die Splittung in Systematischer Teil und Entscheidungsteil hervorzuheben. Insbesondere der Entscheidungsteil lässt bei der Suche, welche Schriftsätze oder sonstigen Leistungen mit welcher TP zu verzeichnen sind, keine Wünsche offen, denn es ist wirklich (fast) alles zu finden.
Nun noch zum Kommentar der AHK: Zu § 1 AHK habe ich besonders den Teil Abrechnung mit Rechtschutzversicherungen (Rz 38ff) geschätzt, in dem iSd ARB dargestellt wird, was unter angemessenen Kosten vom Rechtschutzversicherer als notwendig zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung wirklich zu zahlen ist. Zu § 5 AHK haben mir die Praxisbeispiele gut gefallen, die im Allgemeinen aufzeigen, was unter Interesse des Auftraggebers bzw. unter der Wendung, oder aus der Sache selbst ein anderer Wert ergäbe, zu verstehen ist, und im Speziellen zu den einzelnen Rechtsgebieten vom Autor gegeben werden. Breiten Raum nimmt naturgemäß der 3. Teil der AHK betreffend Straf- und Disziplinarsachen ein. Als Standesvertreter ist es mir wichtig zu betonen, dass dieser Kommentarteil nicht nur für in Strafsachen tätige Rechtsanwälte ein praxisrelevantes Nachschlagewerk sein sollte, sondern auch für alle, die Verfahrenshilfe leisten: Immerhin sind unsere im Rahmen der Verfahrenshilfe erbrachten Leistungen gegenüber der eigenen Rechtsanwaltskammer bis längstens 31. Jänner für das vorangegangene Jahr zu verzeichnen. Diese solchermaßen verzeichneten Leistungen sind Basis für die vom Staat gezahlten Pauschalvergütung, die wiederum zu einem nicht unwesentlichen Teil unsere Pensionstöpfe im Teil A, also der Pension nach dem Umlagensystem finanziert. Dementsprechend wichtig ist es, diese Kosten in richtiger Höhe zu verzeichnen, wozu diese Kommentierung eine wesentliche Hilfestellung leistet. Zu § 16 AHK (Rz 3) ist der wichtige Hinweis des Autors hervorzuheben, dass für aus gerechtfertigten Gründen oder von der Mandantschaft ausdrücklich gewünschte Leistungen an Samstagen, Sonn- und Feiertagen zur Nachtzeit ein Zuschlag von 2 x 100%, also der vierfache Verdienst als angemessen betrachtet werden kann. Dem pflichte ich voll bei und weise bei den Angelobungen von Rechtsanwälten immer wieder darauf hin. Ab sofort werde ich dies auch unter Hinweis auf dieses Werk tun.
Schließlich noch ein Blick auf das Literaturverzeichnis, das beeindruckend ist und somit die hohe Qualität dieses Werks unterstreicht, und das Stichwortverzeichnis, das sehr umfassend ist und einem das Arbeiten mit diesem Buch wesentlich erleichtert.
Fazit
Für (den soweit ersichtlichen Preis von) EUR 139,00 ist dieses Buch ein unverzichtbarer Arbeitsbehelf für Rechtsanwälte und sollte in einer Kanzlei schon deswegen nicht fehlen, weil richtiges Ver- und Abrechnen die Basis einer wirtschaftlich gesunden Berufsausübung sind. Dem Autor ist zu diesem Werk, das auch online bei Lexis 360® verfügbar ist, nur zu gratulieren! Mein Wunsch an Herrn Kollegen Hon.Prof. Dr. Clemens THIELE: Möge es nicht wieder 12 Jahre dauern, bis die 5. Auflage erscheint!
Der gesamte Artikel vom Verlag Österreich kann hier nachgelesen werden.