Skip to main content
News

Auswirkungen von COVID-19 auf aktuelle Zivilverfahren

Von 9. April 2020 April 14th, 2020 Blog, Wirtschaftsrecht, Zivilrecht

Als Teil des 2. COVID-19-Gesetzes (BGBl I 2020/16) trat das Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz mit 22. 3. 2020 bis längstens 31. 12. 2020 in Kraft. Intention des Gesetzgebers war, dass aufgrund krankheitsbedingter oder maßnahmenbedingter Ausfälle sowohl des Gerichtspersonals als auch der rechtsberatenden Berufe und der Parteien ein Tätigwerden innerhalb der gesetzlich vorgesehen Fristen nicht immer möglich oder tunlich ist, sollen doch persönliche Kontakte zwischen Menschen in anhängigen Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen (vgl Teil I leg cit; gemeint sind sohin landläufig wohl die „Zivilverfahren“) sowie in laufenden Verfahren in Strafsachen (vgl Teil II leg cit) so weit wie möglich vermieden werden [vgl 397/A vom 19. 3. 2020 (27. GP)].

Ich nehme nur Bezug auf Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, also auf Zivil-, Außerstreit-, Grundbuchs-, Firmenbuch-, Exekutions-, und Insolvenzverfahren (vgl §§ 1 bis 8 leg cit):

Bei Zivilprozessen sowie in Außerstreit-, Grundbuchs-, Firmenbuch-, Exekutions-, und Insolvenzverfahren werden alle prozessualen (gesetzliche wie richterliche) Fristen unterbrochen, die nach dem 22. 3. 2020 beginnen oder noch nicht abgelaufen waren. Ausgenommen sind nur solche in Verfahren über die Aufrechterhaltung einer freiheitsentziehenden Maßnahme [vgl § 20 UbG, § 11 HeimAufG; Entscheidungen über Einschränkungen, die nicht den Grad eines Freiheitsentzugs nach dem PersFrG und Art 5 EMRK erreichen, wie Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit bereits aufgehobener Maßnahmen, sind damit nicht gemeint: vgl 397/A vom 19. 3. 2020 (27. GP) zu Art 21 zu § 1], und Leistungsfristen (vgl § 1 Abs 1 leg cit).

Leistungsfristen wurden deswegen ausdrücklich ausgenommen, weil einerseits deren Zuordnung als materiell-rechtliche oder prozessuale Fristen nicht immer möglich ist, und andererseits Rechtssicherheit für alle Parteien eines Gerichtsverfahrens und für deren Vertreter herrschen soll [vgl 397/A vom 19. 3. 2020 (27. GP) zu Art 21 zu § 1]. Eine Ausnahme davon: Eine schriftliche Mahnung einer nach dem 22. 3. 2020 fällig gewordenen Verbindlichkeit führt nicht zum Verzug nach § 156a Abs 1 IO (vgl § 5 leg cit).

Weiters wurde die Hemmung von Fristen für die Anrufung des Gerichts (in § 2 leg cit) angeordnet: Der Zeitraum vom 22. 3. 2020 bis zum Ablauf des 30.4.2020 wird in die Zeit, in der bei einem Gericht eine Klage oder ein Antrag zu erheben oder eine Erklärung abzugeben ist, nicht eingerechnet.

Dies betrifft nicht nur laufende materiell-rechtliche Fristen anhängiger Verfahren (zB Klagsausdehnung vor Verjährung oä), sondern gilt auch für eine Vielzahl von materiell-rechtlichen Fristen, die für das Anhängigmachen eines Verfahrens (Klage oder verfahrenseinleitender Antrag) in diversen Rechtsvorschriften festgelegt sind [vgl 397/A vom 19. 3. 2020 (27. GP) zu Art 21 zu § 1].

Damit, so der Gesetzesantrag, sind nicht nur Verjährungsfristen, die Frist für die Besitzstörungsklage nach § 454 ZPO, die Anrufung des Gerichts gegen einen Bescheid des Sozialversicherungsträgers nach § 67 Abs 2 ASGG, die Anrufung der Schlichtungsstelle nach § 40 MRG, sondern etwa auch Fristen gemeint, die sich in arbeitsrechtlichen Gesetzen finden, etwa für die Kündigungsanfechtung nach § 105 ArbVG. Die Hemmung gilt so für die Frist des § 95 EheG für den Anspruch auf nacheheliche Aufteilung oder für die gemäß § 110 Abs 4 IO vom Insolvenzgericht bestimmte Frist zur Klageerhebung (keine Folgen nach § 123b Abs 2, § 131 Abs 3 oder § 134 Abs 2 IO). Gleiches gilt für verschiedene Erklärungen, die dem Gericht gegenüber abzugeben sind, etwa die Vorlage von Unterlagen der Rechnungslegung (zB in Insolvenz- oder Erwachsenenschutzverfahren), wohl aber nicht – weil ja Leistungsfristen ausdrücklich ausgenommen sind – für die in Erfüllung eines Zwischenurteils nach einer Stufenklage (vgl Art XLII EGZPO) abzugebende Rechnungslegung oder Eidesleistung.

Zum gesetzlichen Hintergrund: Aufgrund von schon gegebenen Krankenständen, Kurzarbeit oder Home-Office in Rechtsanwaltskanzleien ist wenig Personal vorhanden und auch nicht sicher, dass dieses mit Ablauf der Unterbrechungsfrist wieder voll zur Verfügung steht. Damit können etwa Fristen, in denen nur mehr wenige Tage offen sind, möglicherweise nicht eingehalten werden. Es soll daher zur Erleichterung der Tätigkeit der rechtsberatenden Berufe, aber auch der unvertretenen Parteien, die viele ihre Angelegenheiten nach Ende dieser besonderen Situation wieder ordnen müssen, darüber hinaus aber auch zur Klarheit und Rechtssicherheit eine Unterbrechung und damit ein Neubeginn des Fristenlaufs vorgesehen werden [vgl 397/A vom 19. 3. 2020 (27. GP) zu Art 21 zu § 1].

Kein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit: Richter dürfen im jeweiligen Verfahren gesondert mit Beschluss und unanfechtbar (vgl § 1 Abs 2 leg cit; eigene Anm: richtig wohl „nicht gesondert anfechtbar“: Eine Überprüfung des richterlichen Ermessens muss zumindest im Rechtsmittel gegen die Endentscheidung möglich sein, da es sonst der Vorgaben des § 1 Abs 3 leg cit nicht bedürft hätte!) aussprechen, dass eine Frist nicht unterbrochen wird. Das Gericht hat gleichzeitig eine neue angemessene Frist festzusetzen und dies nur, wenn nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände die Fortsetzung des Verfahrens zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben, Sicherheit und Freiheit oder zur Abwehr eines erheblichen und unwiederbringlichen Schadens einer Verfahrenspartei dringend geboten ist und nicht das Interesse der Allgemeinheit an der Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 sowie der Schutz der Aufrechterhaltung eines geordneten Gerichtsbetriebes die Einzelinteressen überwiegen (vgl § 1 Abs 3 leg cit).

Der Gesetzesantrag führt als Beispiel an: Mit einem Beschluss ist auch der Beschluss zuzustellen, mit dem die Unterbrechung der Rekursfrist aufgehoben wird und ausgesprochen wird, dass die neue Frist 14 Tage (auch zB nur 10 Tage) für den Rekurs beträgt. Die Angemessenheit wird sich an den gesetzlichen Fristen zu orientieren haben. Die neue Frist läuft ab Zustellung dieses Beschlusses. Für alle, im Verfahren folgenden Fristen gilt dann wieder die Fristunterbrechung des § 1 Abs 1 leg cit. Wohl aus Gründen der in den Verfahren zu wahrenden „Waffengleichheit“ ist nach Einlangen des Rekurses dieser, wenn das Rekursverfahren zweiseitig ist, zuzustellen und vom Gericht daher (neuerlich) gleichzeitig anzuordnen, dass die Unterbrechung der Rekursbeantwortungsfrist aufgehoben wird [vgl 397/A vom 19. 3. 2020 (27. GP) zu Art 21 zu § 1].

Schließlich wird aber auch zur Flexibilität einer allenfalls sich aus der Praxis ergebenden Anpassungsnotwendigkeit der Bundesministerin für Justiz gesetzlich die allgemeine Ermächtigung eingeräumt, mittels Verordnung festzulegen, ob eine weitere Verlängerung dieser Unterbrechungen erforderlich ist oder ob – zu den ohnedies bereits angeordneten Ausnahmen – weitere treten sollen und so eine angeordnete Unterbrechung wieder beseitigt wird (vgl § 8 leg cit).

Zur Wirkung: Unterbrochene Fristen beginnen ab 1. 5. 2020 neu zu laufen (vgl § 1 Abs 1, 2. Satz leg cit).

§ 3 leg cit nimmt Bezug auf Anhörungen, mündliche Verhandlungen, Vollzugsaufträge, Protokollaranbringen und Zustellungen: Die persönlichen Kontakte zwischen allen sollen auf das Notwendigste reduziert werden. Das Gesetzestext verweist dazu auf die in § 1 Abs 3 leg cit festgelegten Kriterien, die auch für die Abfertigungen gerichtlicher Erledigungen gelten (vgl § 3, 4. Satz leg cit). Erweist es sich danach, dass eine Anhörung einer Partei oder die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unbedingt erforderlich ist, so kann sie auch ohne persönliche Anwesenheit aller Beteiligten unter Verwendung geeigneter technischer Kommunikationsmittel vorgenommen bzw durchgeführt werden (vgl § 3, 3. Satz leg cit). Hier nahm der Gesetzgeber „Anleihe“ am Art 8 Abs 1 EuBagVO, wonach das Gericht zur Verfügung stehende geeignete Mittel der Fernkommunikationstechnologie wie etwa die Video- oder Telekonferenz verwenden kann. Nahezu „überflüssig“ ist mE der Hinweis, dass Zustellungen mittels ERV weiterhin vorzunehmen sind (vgl § 3 letzter Satz leg cit).

Das Gesetz regelt noch zwei Spezialmaterien:

1. Die Frist für den Prüfungsantrag nach § 11 KartG für Zusammenschlussanmeldungen nach § 9 KartG, die vor dem 30. 4. 2020 bei der BWB einlangen, und die Entscheidungsfrist nach § 14 KartG laufen ab 1.5.2020 (vgl § 6 leg cit).

2. Bis 30. 4. 2020 sind Titelvorschüsse nach § 3 UVG auch dann zu gewähren, wenn das Kind keinen entsprechenden Exekutionsantrag bei Gericht einbringt. Solche Vorschüsse sind abweichend von § 8 UVG längstens für ein halbes Jahr zu gewähren (§ 7 leg cit).

Fazit: Das 2. COVID-19-Gesetz bedeutet für „normale“ Zivilverfahren vorläufig bis 30. 4. 2020 einen De-facto-Stillstand. Praktiker haben daher in solchen lauter Terminabberaumungen erhalten. Ob Anträge auf EV (vgl §§ 378 ff EO) oder sonst dringende Anträge, zB Beweissicherung (vgl §§ 384 ff ZPO), gesonderte Wohnungsnahme (vgl § 92 ABGB) usw, nach den Kriterien des § 1 Abs 3 leg cit notwendigerweise zu verhandeln und zu erlassen sind, ist in das – nicht gesondert anfechtbare – Ermessen des Richters gestellt. Der iudex iustus wird damit aber verantwortungsvoll umgehen. Betroffene sind überdies bei allfälligen Ermessensfehlern durch § 1 Abs 1 AHG geschützt: Der Rechtsträger hat diesfalls für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben, finanziell aufzukommen. Besondere Zeiten erfordern, besondere Maßnahmen. Im Bereich des Zivilverfahrens erfolgte dies in einem „verträglichen“ und zeitlich (vorerst) bis 30. 4. 2020 begrenzten Ausmaß. Es bleibt trotz des aktuellen „Silberstreifs am Horizont“ abzuwarten, ob die Befristung mit 30. 4. 2020 ausreicht oder von der Bundesministerin für Justiz verlängert wird.

Zum Originalartikel aus CuRe 2020/26 vom 06.04.2020

 

Leave a Reply