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Erwachsenenschutzrecht: Zur Umbestellung der Erwachsenenvertretung von einem Rechtsanwalt auf einen Erwachsenenschutzverein

Von 22. September 2020 Publikationen

 

§§ 246, 274 ABGB
Der vom Gesetz geforderte Vorrang der Vertretung durch den Erwachsenenschutzverein allein kann zu keiner Übertragung der Erwachsenenvertretung führen. Die Übertragung kommt lediglich dann in Frage, wenn sie dem Wohl des Betroffenen entspricht.
OGH 24. 4. 2020, 7 Ob 49/20m

Sachverhalt: 

Im Jahre 2006 wurde ein Wiener Rechtsanwalt zum Sachwalter (nunmehr Erwachsenenvertreter) des Betroffenen bestellt, der sich seit Jahren und laufend in einer geeigneten Einrichtung außerhalb von Wien zunächst in stationärer Behandlung und dann in stationärer Dauerbetreuung mit dislozierter Wohnform befindet, wo er Therapien absolviert. Über amtswegige (!) Anfrage des ErstG gab der Erwachsenenschutzverein jenes Bundeslands, in dem der Betroffene aufhältig ist, bekannt, zur Übernahme der gegenständlichen Erwachsenenvertretung bereit zu sein. Darauf enthob das ErstG den bisherigen Erwachsenenvertreter und bestellte den Erwachsenenschutzverein zum neuen gerichtlichen Erwachsenenvertreter des Betroffenen. Da nach der Reihung des § 274 ABGB vorrangig vor Bestellung eines Rechtsanwalts (oder Notars) ein Erwachsenenschutzverein auszuwählen sei, der regional zuständige Landesverein nunmehr die Bereitschaft zur Übernahme erklärt habe, derzeit keine, vorwiegend Rechtskenntnisse erfordernden Angelegenheiten anstünden und auch eine beträchtliche räumliche Distanz zwischen dem Wohnort des Vertretenen und dem Kanzleisitz seines bisherigen Erwachsenenvertreters bestehe, sei mit der Übertragung der Erwachsenenvertretung vorzugehen gewesen. Das RekG bestätigte diesen Beschluss. Der OGH erachtete den dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs aus Gründen der Rechtssicherheit für zulässig und auch berechtigt:

Aus den Entscheidungsgründen:

Eine Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung auf eine andere Person hat nach § 246 Abs 3 Z 2 ABGB dann zu erfolgen, wenn der Vertreter verstorben ist, nicht die erforderliche Eignung aufweist, durch die Vertretung unzumutbar belastet wird oder es sonst das Wohl der vertretenen Person erfordert. Nur der letztgenannte Übertragungsgrund kommt hier in Frage. […] Auch die neue Rechtslage gewährleistet weder eine Übertragung allein aufgrund einer Wunschäußerung der betroffenen Person noch eine freie Auswahl des (gerichtlichen) Erwachsenenvertreters. Das Wohl der betroffenen Person ist nicht ausschließlich von einem materiellen Gesichtspunkt aus zu beurteilen, sondern es ist auch auf ihre Befindlichkeit und ihren psychischen Zustand abzustellen, im Allgemeinen ist eine stabile Betreuungssituation wünschenswert, weshalb es nur aus besonderen Gründen zu einer Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung kommen soll. Zum Erwachsenenvertreter ist nach § 274 Abs 1 ABGB vorrangig mit deren Zustimmung die Person zu bestellen, die aus einer Vorsorgevollmacht, einer Vereinbarung einer gewählten Erwachsenenvertretung oder einer Erwachsenenvertreter-Verfügung hervorgeht. Ist eine solche Person nicht verfügbar oder geeignet, so ist nach Abs 2 leg cit mit deren Zustimmung eine der volljährigen Person nahestehende und für die Aufgabe geeignete Person zu bestellen. Kommt auch eine solche Person nicht in Betracht, so ist nach Abs 3 leg cit ein Erwachsenenschutzverein mit dessen Zustimmung zu bestellen. Ist auch die Bestellung eines solchen nicht möglich, so ist nach Abs 4 leg cit ein Notar (Notariatskanditat) oder Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder mit deren Zustimmung eine andere geeignete Person zu bestellen. Nach Abs 5 leg cit ist ein Notar oder Rechtsanwalt vor allem dann zu bestellen, wenn die Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert, ein Erwachsenenschutzverein vor allem dann, wenn sonst besondere Anforderungen mit der Erwachsenenvertretung verbunden sind. Zwar ist das Pflegschaftsgericht grundsätzlich an diesen gesetzlichen Stufenbau gebunden, weshalb auch ein Abgehen davon sachlich gerechtfertigt sein muss. Dieser vom Gesetz angeordnete Vorrang der Vertretung durch den Erwachsenenschutzverein allein kann aber zu keiner Übertragung der Erwachsenenvertretung führen. Wie ausgeführt, kommt im vorliegenden Fall die Übertragung der Erwachsenenvertretung lediglich dann in Betracht, wenn sie dem Wohl des Betroffenen entspricht. Zur Beurteilung, ob die Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung von dem seit 14 Jahren betrauten Rechtsanwalt – trotz ebenfalls bereits länger bestehender räumlicher Distanz – auf den Erwachsenenschutzverein dem Wohl des Betroffenen entspricht, bedarf es zumindest eines verwertbaren Tatsachensubstrats, das hier fehlt. […] Im vorliegenden Fall erfolgte die Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung durch das ErstG amtswegig ohne erklärten Grund, weshalb mit einer ersatzlosen Behebung der Beschlüsse der Vorinstanzen vorzugehen ist.

Anmerkung:

Der OGH hat nunmehr klargestellt, wie sich die Änderung des § 274 ABGB auf bestehende Sachwalterschaften (nunmehr: Erwachsenenvertretungen) auswirkt. Er betont dabei, dass eine stabile Betreuungssituation wünschenswert ist und es nur aus besonderen Gründen zu einer Übertragung der Erwachsenenvertretung kommen soll. Nur, wenn es dem Wohl des Betroffenen entspricht, hat das Pflegschaftsgericht – gebunden an den Stufenbau des § 274 ABGB6 – dann mit einer Übertragung der Erwachsenenvertretung vorzugehen, wenn es sachlich gerechtfertigt ist. Der von § 274 ABGB gesetzlich angeordnete Vorrang der Vertretung durch den Erwachsenenschutzverein gegenüber Rechtsanwälten (und Notaren bzw deren Berufsanwärtern und anderen geeigneten Personen) allein reicht dafür nicht aus.

Dr. Eric HEINKE (am Verfahren beteiligt)

Der Originalartikel kann hier nachgelesen werden:  Österreichisches Anwaltsblatt 09_2020, S. 529 f.

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